WB-Seminar: Psychopharmakologie bei psych. Störungen: Eine kritische Auseinandersetzung (SoSe 19)
Institution
Psychology and Human Movement Science
Department
Psychologie
Teaching staff
Matthias Pillny
SDG-topic cluster
Basic needs
Comments/contents
Mitte der 1950er Jahre kam es in der Behandlung von psychischen Störungen zu einem Paradigmenwechsel. Mit der eher zufälligen Entdeckung verschiedener Beruhigungsmittel und des Antidepressivums Iproniazidin entstanden neue Möglichkeiten für die Behandlung psychischer Störungen. Die Einführung von Psychopharmaka versprach eine schnelle und wirksame Symptomverbesserung. In der Tat scheinen viele pharmakologische Therapien bis heute wissenschaftlich gut abgesichert zu sein. Wirksamkeitsstudien belegen zum Beispiel, dass die Rückfallquoten bei Schizophrenie durch eine medikamentöse Behandlung geringer sind und starke Symptome bereits kurzfristig abgeschwächt werden. Entsprechend dieser und weiterer Befunde ist eine pharmakologische Behandlung bei vielen psychischen Störungen heute gängige Praxis und bei Schizophrenie sogar die Therapie erster Wahl, die kaum noch hinterfragt wird. Also alles in Ordnung? Immer mehr Kritiker und Kritikerinnen vertreten die Hypothese, Psychopharmaka hätten langfristig eine eher schädliche Wirkung auf die psychische Gesundheit. Ferner werden die Forschungsmethoden und die Publikationspraxis der profitierenden Pharmakonzerne als tendenziös kritisiert. So provoziert z. B. Robert Whitaker, ein wissenschafts- Journalist in seinem Buch „Anatomy of an Epidemic: Magic Bullets, Psychiatric Drugs, and the Astonishing Rise of Mental Illness in America” die gängige pharmakologische Praxis und die Überzeugungen der etablierten Psychiatrie mit der Hypothese, dass die Einführung von Antidepressiva und Neuroleptika sogar langfristig zu mehr Schaden als gesellschaftlichen Nutzen geführt habe. Auf Basis seines Buchs soll im Rahmen des Seminars die Praxis der pharmakologischen Behandlung und Psychiatrie aus einer kritischen Perspektive betrachtet und hinterfragt werden. Das Lesen des Buches vor Beginn der Veranstaltung ist Teil der Prüfungsleistung und erforderlich für eine erfolgreiche Teilnahme am Seminar. Unter anderem soll es inhaltlich um die folgenden Themen gehen, die teilweise durch ergänzende Referate erarbeitet werden: · Was ist der genaue Wirkmechanismus von Antidepressiva und Neuroleptika? Behandeln diese eine zugrunde liegende biologische Ursache der Störungen? · Gibt es wissenschaftliche Indikationen dafür, dass Neuroleptika und Antidepressiva zu schädlichen Anpassungen der Synapsen führen, die rückfallbegünstigend sein können? · Welche Evidenz gibt es tatsächlich für die kurzfristige Wirksamkeit von Neuroleptika und Antidepressiva? Lässt sich diese aufrechterhalten, wenn man den Publikationsbias berücksichtigt? · Welche Evidenz gibt es für die langfristige Wirksamkeit von Neuroleptika und Antidepressiva? · Welche Kurz- und Langzeitschäden verursachen Antidepressiva und Neuroleptika und wie stehen diese im Verhältnis zum Nutzen? · Wie ist der langfristige Verlauf bei Depression und Schizophrenie ohne Medikamente? Hat es hier seit der Einführung von Psychopharmaka eine Tendenz zur Veränderung gegeben? Ist der · Welche Schlussfolgerungen lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand ziehen?
Learning objectives
Entwickeln einer kritischen Perspektive auf gängige psychiatrische und pharmakologische Behandlungsmethoden von psychischen Störungen anhand von Erkenntnissen der empirischen Forschung.
Semester
SoSe 19
Center for a Sustainable University
Mittelweg 177
20148 Hamburg
www.nachhaltige.uni-hamburg.de